Wirtschaftsgeschichte
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Geschichte

Stichworte zur Institutionalisierung der Wirtschaftsgeschichte in der Staatswirtschaftlichen/Volkswirtschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München [pdf]

Knut Borchardt

 

Vor dem Ersten Weltkrieg gab es an keiner deutschen Universität einen Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte. Ein früher Versuch der Staatswirtschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, einen solchen (allerdings in Verbindung mit Kulturgeschichte) zu errichten, scheiterte. Doch liegen hier die Wurzeln für die spätere Entfaltung des Faches. Als der Inhaber des Lehrstuhls für Kulturgeschichte und Statistik, Wilhelm Heinrich Riehl (1823–1897) gestorben war, beantragte die Staatswirtschaftliche Fakultät nämlich die Umwandlung des Lehrstuhls in eine Professur für Kultur- und Wirtschaftsgeschichte. Als denkbare Kandidaten für die Besetzung des neuen Lehrstuhls nannte die Fakultät dem Universitätssenat folgende Professoren (in dieser Reihenfolge): Eberhard Gothein, Georg Friedrich Knapp, Karl Lamprecht und Max Weber. Der Senat schlug dem Kultusministerium daraufhin die Berufung Eberhard Gotheins (1853–1923) vor, der damals – wiewohl habilitierter Historiker – Professor für Volkswirtschaftslehre in Bonn war. Das Ministerium lehnte dies aber ab und beschloss stattdessen, die Professur für Statistik zu erhalten und das Fachgebiet nach Möglichkeit noch zu stärken. Maßgebend für diese Entscheidung war auch ein politisches Motiv: Der bis dahin einzige ordentliche Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität, Lujo Brentano (1844–1931), war als Freund der Gewerkschaften und Befürworter des Freihandels der Mehrheit im Landtag unbequem. Um seinen politischen Einfluss zurückzudrängen, sollte ihm ein zweiter Nationalökonom an die Seite gestellt werden, der andere, mehrheitsfähigere Überzeugungen hegte. Mit Georg (v.) Mayr (1841–1925) berief das Ministerium einen Kandidaten, der diesen wissenschaftlichen und politischen Implikationen entsprach. Mayr erhielt den Lehrstuhl für Statistik, Finanzwirtschaft und Nationalökonomie.

Allerdings wurde – vermutlich, um die Fakultät mit der Entscheidung des Ministeriums zu versöhnen – die venia legendi von Lujo Brentano um das Lehrgebiet Wirtschaftsgeschichte ergänzt. Meiner Kenntnis nach ist dies das erste Mal, dass an einer deutschen Universität diese Lehrbefugnis erscheint. Brentano hatte schon zuvor explizit als solche ausgewiesene wirtschaftsgeschichtliche Vorlesungen gehalten und tat dies seitdem weiterhin in großer Regelmäßigkeit, auch nach seiner Emeritierung. Fast alle Nationalökonomen, die sich danach bei ihm habilitierten, wurden auch für Wirtschaftsgeschichte habilitiert. 1912 gab es in München drei außerplanmäßige Professoren und drei Privatdozenten mit der venia legendi (auch) für Wirtschaftsgeschichte, einzigartig in der deutschen Hochschullandschaft.

1919 wurde Max Weber (1864–1920) zum Nachfolger des 1916 emeritierten Lujo Brentano berufen. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch erhielt er einen Lehrstuhl für Gesellschaftslehre, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie – in dieser Reihenfolge. Im Wintersemester 1919/20 las er einen „Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“. Nach seinem allzu frühen Tod im folgenden Semester ist der Text der Vorlesung aus Mit- und Nachschriften rekonstruiert und 1923 als „Wirtschaftsgeschichte. Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ publiziert worden (übersetzt und herausgegeben von Frank H. Knight als „General Economic History“, London 1927).

 Noch zu Webers Lebzeiten fiel der Universität 1919 aus dem Nachlass des verstorbenen, bei Brentano habilitierten Privatdozenten Rudolf Leonhard eine Bibliothek nebst einem größeren Geldbetrag zu, die für die Errichtung einer außerordentlichen Professur für Wirtschaftsgeschichte und eines Wirtschaftsgeschichtlichen Seminars verwendet werden sollten. Kurzzeitig dachte Max Weber, der unter seinen Lehr- und Prüfungspflichten litt, daran, sich auf diese Professur zurück zu ziehen, was aber vor seinem Tod im Juni 1920 nicht mehr geschah. Doch wurde 1920 eine etatmäßige außerordentliche Professur in der bis 1946 gültigen Fächerverbindung von Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftsgeographie eingerichtet. Erster Inhaber 1920/21 war der Erforscher des Frühkapitalismus in Deutschland, Jakob Strieder (1877–1936), der 1920 auch die Leitung des Privatarchivs des Hauses Fugger übernahm. 1924 wurde die Professur in eine ordentliche verwandelt und das Wirtschaftsgeschichtliche Seminar gegründet.

Nach Strieders Tod 1936 wurden zur Wiederbesetzung des Lehrstuhls von der Fakultät  Ernst Kelter, Bernhard Laum, Clemens Bauer und Friedrich Lütge erwogen. Vom Reichswissenschaftsministerium wurde – noch vor Entscheidungen in der Universität in dieser Sache – 1937 Ernst Kelter (1900–1976) mit der Vertretung des Lehrstuhls beauftragt. Kelter war seit 1925 Mitglied der NSDAP und auch der SA. 1936 hatte er sich in Bonn für Wirtschaftsgeschichte habilitiert. Im Zusammenhang mit seiner Ernennung zum o. Professor für Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftsgeographie 1938 wurde das Wirtschaftsgeschichtliche Seminar in ein Seminar für Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftsgeographie umgewandelt, allerdings nur für wenige Jahre. Als der politisch allzu belastete Kelter  (er gehörte auch dem Ausschuss der Universität an, in dem über die Aberkennung von Doktorgraden entschieden wurde) nach dem Krieg aus dem Amt entlassen wurde und die ersten Neuberufungen erfolgten, gewann die Staatswirtschaftliche Fakultät mit Wilhelm Credner einen ausgezeichneten Wirtschaftsgeographen, der nun einen eigenen Lehrstuhl und die Leitung eines eigenen Wirtschaftsgeographischen Seminars übernahm.

Zur kommissarischen Vertretung des erstmals allein der Wirtschaftsgeschichte gewidmeten Lehrstuhls wurde 1946 Hans Proesler (1888–1956) zunächst mit einem Lehrauftrag versehen.  Proesler war von 1920–1933 Dozent für Geschichte  an der Handelshochschule in Nürnberg, dort auch Rektor, und hatte von 1933–45 wegen seiner politischen Überzeugungen Lehrverbot. 1947 wurde er zum Professor für Wirtschaftsgeschichte ernannt, blieb es aber nur kurze Zeit, denn er wurde 1948 an die Wirtschaftshochschule zurück berufen und dort alsbald wieder Rektor.

Inzwischen gab es an der Staatswirtschaftlichen Fakultät einen zweiten Wirtschaftshistoriker, wenn auch noch nicht auf einem diesem Fach gewidmeten Lehrstuhl.  Friedrich Lütge (1901–1968), 1936 für Wirtschaftsgeschichte und Volkswirtschaftslehre habilitiert, ist 1947 auf einener zwei verwaisten Lehrstühle für Volkswirtschaftslehre berufen worden, hielt aber von Anfang an – neben Proesler – auch wirtschaftsgeschichtliche Vorlesungen. Nach Proeslers Weggang wurde die Professur von Lütge in eine solche für Wirtschaftsgeschichte und Volkswirtschaftslehre umgewidmet. Zugleich übernahm Lütge die Leitung des Seminars für Wirtschaftsgeschichte. 1960 wurde Lütge – im Zusammenhang mit Verhandlungen zur Abwendung eines Rufes auf den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Köln – ein Lehrstuhl bewilligt, der nicht mehr mit der Verpflichtung verbunden war, neben der Wirtschaftsgeschichte auch die Volkswirtschaftslehre zu vertreten. Dafür wurde der  Lehrauftrag förmlich, was ohnehin schon der Praxis entsprach, auf die Sozialgeschichte ausgedehnt.  Zugleich wurde aus dem Seminar für Wirtschaftsgeschichte ein „Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“.

Lütge konnte die Fakultät und dann auch das Kultusministerium für die Errichtung eines zweiten Lehrstuhls für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte gewinnen, der im Jahr der Emeritierung Lütges 1967 errichtet und 1967/68 mit Wolfgang Zorn (1922–2004) besetzt wurde. Lehrstuhlnachfolger Lütges wurde 1969 Knut Borchardt (geb. 1929). Auf seinen Antrag hin wurde dieser Lehrstuhl wieder umgewidmet in einen solchen für Wirtschaftsgeschichte und Volkswirtschaftslehre. Zorn und Borchardt leiteten das Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte gemeinsam und wechselten sich in der Geschäftsführung ab. 

Nachdem 1971 im Zuge einer kleinen Strukturreform der Universität die Staatswirtschaftliche Fakultät geteilt worden war und die in ihr traditionell starke Forstwissenschaft in eine eigene Fakultät ausgewandert war,  kam es 1974/75 zu einer großen strukturellen Veränderung. Sie hatte einschneidende Folgen für die Institutionalisierung der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. In der gesamten Universität traten an die Stelle von Fakultäten nun Fachbereiche. Die Staatswirtschaftliche Fakultät zerfiel in die Fachbereiche Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft und Sozialwissenschaften. Die Statistik vereinigte sich mit der Philosophie zu einem neuen Fachbereich. Das Volkswirtschaftliche Institut, das bis dahin als getrennte Einheit neben der Staatswirtschaftlichen Fakultät bestanden hatte, ging nun ebenfalls im Fachbereich Volkswirtschaft auf. Wohin gehörte die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte? Knut Borchardt votierte – naheliegend – für die Zugehörigkeit zum Fachbereich Volkswirtschaft. Innerhalb des neu begründeten Volkswirtschaftlichen Instituts wurde als Abteilung ein Seminar für Wirtschaftsgeschichte gebildet. Wolfgang Zorn entschied sich für den Fachbereich Sozialwissenschaften und hier nicht für die Abteilung Soziologie, sondern für die Politische Wissenschaft. Er wurde Mitdirektor des Geschwister-Scholl-Instituts für Politische Wissenschaften. Ein eigenes Seminar, etwa für Sozialgeschichte, hatte er nicht. Sein Lehrstuhl verblieb  in den Räumen in der Ludwigstraße 33. So konnte die gemeinsame Bibliothek – mit den Mitteln aus zwei verschiedenen Etats – fortgeführt werden.

1991, nach einer längeren Phase struktureller und personeller Konstanz, erfolgten wiederum einschneidende Veränderungen: Mit der Emeritierung Wolfgang Zorns und dem erkrankungsbedingten vorzeitigen Ausscheiden von Knut Borchardt wurden beide Lehrstühle gleichzeitig vakant. Der Lehrstuhl Zorns, der nur auf Grund seiner persönlichen Forschungsinteressen im Fachbereich Sozialwissenschaften angesiedelt war, wurde nun in den Fachbereich Volkswirtschaftslehre zurückgeführt, so dass die Wirtschaftsgeschichte wieder mit zwei Professuren ausgestattet war. Den Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, den zuvor Zorn innegehabt hat, übernahm von 1992–2007 Reinhard Spree (geb. 1941). Der Lehrstuhl von Knut Borchardt wurde auf reine Wirtschaftsgeschichte umgewidmet und, ebenfalls 1992, mit John Komlos (geb. 1944) besetzt. Schon vor der Pensionierung von Spree hatte die Fakultät entschieden, diesen Lehrstuhl einer anderen fachlichen Verwendung zuzuführen. Ein gleiches Schicksal nach dem Ausscheiden von John Komlos 2010 konnte – nicht ohne Anstrengung – vermieden werden. 2011 wurde  Davide Cantoni (geb. 1981) auf den Lehrstuhl Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Wirtschaftsgeschichte berufen.

 

Literatur

Zorn,Wolfgang, Die Wirtschaftsgeschichte in der Geschichte der Münchner Staatswirtschaftlichen Fakultät, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 184, 1970, S.461–472.

Borchardt, Knut, Lujo Brentano (1844-1931). Nationalökonom und Wirtschaftshistoriker, in: Willoweit, Dietmar, unter Mitarbeit von Ellen Latzin (Hg.), Denker, Forscher und Entdecker. Eine Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in historischen Portraits. – München: Verlag C. H. Beck 2009, S. 218–234.

Borchardt, Knut, Friedrich Lütge, in: Wilhelm Abel u.a. (Hg.), Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friedrich Lütge. – Stuttgart: Gustav Fischer Verlag 1966, S. 1–7.

Ders., Nachruf in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 184 (1970), S. 1–8.

 

 

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